Familienanwalt in München, Hamburg und Holzkirchen
von Dr. Urte Andrae
Das Kindeswohl ist das zentrale Element bei allen Entscheidungen in kinderbezogenen Angelegenheiten. Ganz gleich, ob Eltern sich über die Ausübung der elterlichen Sorge oder das Umgangsrecht eines Elternteils streiten, das Gericht hat seine Entscheidung immer am Kindeswohl auszurichten.
Umso erstaunlicher ist es, dass der Begriff des Kindeswohls im Gesetz überhaupt nicht näher bestimmt ist. Dennoch handelt es sich beim Kindeswohl keineswegs um eine inhaltsleere Phrase. Vielmehr wurde dieser unbestimmte Rechtsbegriff durch die gerichtliche Praxis über die Zeit immer weiter mit Leben gefüllt und ausgestaltet.
Um gerichtliche Entscheidungen in Kindschaftssachen nachvollziehen und die Erfolgsaussichten eigener Anträge abschätzen zu können, ist es daher von entscheidender Bedeutung, diese Kriterien und ihren jeweiligen Inhalt zu kennen.
Wir möchten Ihnen deshalb mit diesem Artikel einen Überblick bieten, anhand welcher Aspekte das Kindeswohl in der Rechtsprechung im Einzelnen bewertet wird.
Gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes sind die Pflege und die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und gleichzeitig ihre wichtigste Pflicht. Der Gesetzgeber respektiert dabei die individuelle Ausgestaltung des familiären Zusammenlebens. Deshalb gibt es nur wenige gesetzliche Vorgaben dazu, wie die elterliche Sorge von den Eltern konkret auszuüben ist. Vielmehr legt der Gesetzgeber die Ausübung der elterlichen Sorge in die eigene Verantwortung der Eltern. Sie haben Entscheidungen in kinderbezogenen Angelegenheiten im gegenseitigen Einvernehmen zu treffen. Nach § 1627 BGB sollen die Eltern ihr Handeln immer am Wohl des Kindes ausrichten.
Nur wenn das Kindeswohl gefährdet ist, kommt dem Staat eine Wächterposition zu, die einen Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte familiäre Umfeld rechtfertigt.
Alle gerichtlichen Entscheidungen in Kindschaftssachen, wie etwa Regelungen zum Umgang oder die Übertragung der elterlichen Sorge, sind nach § 1697a BGB maßgeblich nach dem Kindeswohlprinzip zu treffen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich das Kindeswohl nicht genau erfassen und klar definieren lässt. Das Leben und die damit verbundenen Sachverhalte sind zu individuell und die kindesbezogenen Fragen zu unterschiedlich, als dass eine allgemeingültige Bestimmung vorgenommen werden könnte. Stattdessen wurde in der Rechtsprechung ein Bündel an einzelnen Kriterien geschaffen, um eine Entscheidung zum Wohle des Kindes zu ermöglichen.
Im Einzelnen handelt es sich hierbei um
1. das Förderungsprinzip
2. das Bindungsprinzip
3. das Kontinuitätsprinzip und
4. den Willen des Kindes.
Diese vier Kriterien zur Bewertung des Kindeswohls werden von den Gerichten nebeneinander angewandt. Konkret werden dabei die einzelnen Kriterien nebeneinander gestellt und gegeneinander abgewogen. So wird z. B. unter dem Gesichtspunkt des Förderungsprinzips geprüft, ob es für die Entwicklung des Kindes förderlicher ist, möglichst bei beiden Elternteilen aufzuwachsen oder ob ein Elternteil hier dem Kind ein deutliches Plus bieten kann. Auf ähnliche Weise werden auch alle anderen Kriterien betrachtet. So zeigen die Kriterien in ihrer Summe, welche der möglichen Optionen für das Wohl und die Entwicklung des jeweils betroffenen Kindes am förderlichsten ist.
Auf Basis der Zwischenergebnisse aus der Betrachtung der einzelnen Kriterien entsteht ein Gesamtbild für eine abschließende Entscheidung. Diese betrifft dann z. B. konkret die Frage, in welchem Haushalt das Kind seinen Lebensmittelpunkt haben sollte.
Nach dem Förderungsgrundsatz ist zu untersuchen, bei welchem Elternteil das Kind in körperlicher, geistiger, seelischer und wirtschaftlicher Hinsicht besser gedeihen wird und bei wem es die meiste Unterstützung beim Aufbau seiner Persönlichkeit erwarten kann. Hierbei sind mitunter die Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern zu betrachten, die erforderliche Erziehung und Betreuung des Kindes wahrzunehmen. Ebenso fließt mit ein, inwieweit der jeweilige Elternteil dazu bereit ist, den Umgang mit anderen dem Kindeswohl förderlichen Personen, vor allem auch dem anderen Elternteil, zu gewähren. Hierfür gibt es auch den Begriff der sogenannten Bindungstoleranz.
Daneben ist nach dem Kontinuitätsprinzip zu untersuchen, von wem das Kind bisher in größerem Umfang betreut wurde. Dabei wird geklärt, wer für das Kind bisher die Hauptbezugsperson gewesen ist. Die gewohnten Lebensumstände sollen zugunsten des Kindes in möglichst weitem Umfang erhalten bleiben. Die Idee dahinter ist, dem Kind auch in emotional belastenden Zeiten durch einen weitgehenden Erhalt der bisherigen Gewohnheiten größtmögliche Stabilität zu bieten. Die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen ist wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung eines heranwachsenden Menschen.
Unter dem Aspekt des Bindungsprinzips erforscht das Gericht, zu welchen Personen das Kind eine innere Bindung aufweist. Es gilt herauszufinden, welche emotionalen Verbindungen bestehen und wie stark diese jeweils ausgeprägt sind. Die zu findende Lösung soll darauf ausgerichtet sein, dem Kind nach Möglichkeit die wichtigsten sozialen Kontakte weitestgehend und langfristig zu erhalten.
Während das Förderungsprinzip das Potential aufseiten der Eltern für die zukünftige Entwicklung in den Fokus rückt, zielen sowohl das Bindungs- als auch das Kontinuitätsprinzip darauf ab, dem Kind die in der Vergangenheit bestehenden Lebensbedingungen zu sichern. Aus der Erhaltung der bisherigen Lebensbedingungen soll das Kind Sicherheit schöpfen, um sich hierdurch gestärkt und positiv entwickeln zu können.
Mit zunehmendem Alter gewinnt parallel dazu auch der Wille des Kindes immer mehr an Bedeutung. Der Kindeswille ist aus mehreren Gründen von Relevanz. Er ist zum einen Ausdruck der persönlichen Bindung zu einem Elternteil. Zum anderen ist er als Teil der Selbstbestimmung des Kindes zu respektieren. Auch aus praktischen Erwägungen ist eine Beteiligung des Kindes am Entscheidungsprozess sinnvoll und erforderlich. Schließlich ist das Kind von der Entscheidung unmittelbar betroffen. Die Umsetzung der Regelung hängt maßgeblich davon ab, ob sie auch vom Kind akzeptiert und mitgetragen wird.
Ob Förderungs-, Kontinuitäts- und Bindungsprinzip oder der eigene Wille des Kindes, generell sind alle Kriterien bei der Bewertung gleichwertig. Keinem Kriterium kommt dabei pauschal eine größere Bedeutung zu als den anderen.
Gleichzeitig erfordern Regelungen und Entscheidungen zur elterlichen Sorge und zum Umgang immer eine Betrachtung des konkreten Einzelfalls. Es gilt, die wesentlichen Aspekte herauszufiltern und anhand der aufgezeigten Kriterien die für das Kind optimalste Lösung zu finden. Sofern die Anwendung der Kriterien nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, ist nach den konkreten Umständen zu entscheiden, welcher Aspekt ausschlaggebend ist.
Wir sind als Fachanwälte für Familienrecht auf diesem Gebiet spezialisierte und damit verlässliche Partner für alle Fragen rund ums Kindeswohl. Profitieren auch Sie von unserer langjährigen Erfahrung und Expertise auf diesem Rechtsgebiet. Haben Sie Fragen zum Thema elterliche Sorge oder Umgang? Benötigen Sie Unterstützung bei der gerichtlichen Durchsetzung Ihrer Rechte? Dann zögern Sie nicht und vereinbaren Sie am besten gleich einen Termin für eine unverbindliche Erstberatung an einem unserer Standorte.
Nach § 1697a BGB sind gerichtliche Entscheidungen in Kindschaftssachen immer am Kindeswohl auszurichten. Als Richtschnur dient dabei stets die Frage, welche von mehreren zur Auswahl stehenden Optionen für die Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes am geeignetsten ist. Zu Beantwortung dieser Fragestellung greifen deutsche Familiengerichte auf das Kontinuitäts-, das Förderungs- und das Bindungsprinzip zurück. Daneben kommt je nach Alter des Kindes auch seinem eigenen Willen eine unterschiedlich starke Bedeutung zu.
Bei der Anwendung des Kontinuitätsprinzips sind die Umstände entscheidend, unter denen das Kind bisher gelebt hat. Entscheidend ist, wer in der Vergangenheit überwiegend die Versorgung und die Betreuung des Kindes übernommen hat. Ziel ist es, dem Kind weitestgehend die gewohnten Lebensumstände, insbesondere die gewohnten sozialen Kontakte und das damit verbundene Lebensumfeld, zu erhalten. Durch den Erhalt der gewohnten Lebensbedingungen soll dem Kind ein zusätzliches Maß an Stabilität zu Teil werden.
Das Bindungsprinzip bezweckt eine ähnliche Zielsetzung wie das Kontinuitätsprinzip. Auch hiernach soll dem Kind Sicherheit durch Stabilität vermittelt werden. Dabei liegt das Augenmerk darauf, zu wem das Kind in der Vergangenheit eine emotionale Bindung aufgebaut hat und wie eng diese ausgestaltet ist.
Auf Grundlage des Förderungsprinzips wird festgestellt, welcher Elternteil besser in der Lage und tatsächlich dazu bereit ist, das Kind zu erziehen und zu versorgen sowie die kindliche Entwicklung zu begünstigen.
Es lässt sich keine allgemeingültige Rangfolge der einzelnen Kriterien untereinander ausmachen. Vielmehr sind alle Aspekte mit in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Bringt ihre gleichwertige Anwendung kein eindeutiges Ergebnis hervor, ist immer im konkreten Einzelfall zu entscheiden, welcher Gesichtspunkt den Ausschlag gibt.
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